Artikel von Sabine Henning
Bernd an der Orchesterorgel:
Mit
"Käfer" und Luxuskarre auf acht Spuren unterwegs
"Bernd" gibt mit Klassik und Pop Gas
"an der Orchesterorgel"
Bernd
Thiele fährt Rennwagen. Der hat keine Aschenbecher und Ledersitze. Dafür
schwarze und weiße Tasten. In die greift Thiele. Kein Auspuff röhrt.
Eine Panflöte wispert heiser. Jetzt hebt er die Hand und spielt auf einer
zweiten Tastatur. Die Panflöte klingt voller. Wie ein Siegertreppchen hat
"Bernd an der Orchesterorgel" Keyboard und Synthesizer vor sich aufgebaut.
"Auf dem Synthesizer hat die Flöte einen größeren Anblaseffekt",
erklärt er. Der Musiker sitzt auf einer schmalen Holzbank in einer Stader
Pizzeria. Eingequetscht zwischen Tisch und Wand. Vor ihm liegen "unendliche
Möglichkeiten".Verschiedene Rhythmen und zahllose Klänge kann
er erzeugen. Ausgefeilte Technik, die "Bernd" gern mit der von Autos
vergleicht. Bei großen Auftritten hater vier Keyboards, zwei Rhythmus-
maschinen, Verstärker und Gesangsanlagen im Rennen. Eine High-Tech-Garage
für rund 60 000 Mark. Doch "Bernd an der Orchester- orgel" gibt
sich traditionsbewusst. Die Knopflöcher seines weißen Hemds sind
schwarz umrandet. Eine Tastatur verbindet Kopf und Bauch. "Bernd"
weiß: Ohne den Fahrer bringen die Maschinen keine Leistung. Er greift
in seinen Werkzeugkasten und zieht bunte Plastikquadrate heraus. Schiebt eine
Diskette in das Keyboard. Lässt das Gerät an. Gibt Gas mit dem Fußpedal.
Satter Klang von Streichern quillt aus den Lautsprechern. Mit links programmiert
Bernd das Keyboard. Baut ein Saxophon ein. Dabei fährt die Rechte schnell
über die Tasten des Synthesizers.
Ein
Pärchen betritt das Restaurant. "Bernd" spielt "Miss You
Like Crazy". Niemand singt. Whitney Houstons Stimme kann er nicht nachahmen.
"Dafür singe ich Marius Müller Westernhagen fast naturgetreu",
sagt er. Das Original zu erreichen, ist sein Ziel. Ob beim Schneewalzer oder
Michael Jacksons "Earth Song". Zuerst hört "Bernd"
genau hin. Filtert Harmonien und Arrangements aus den Liedern. Spielt sie nach.
Frisieren kommt nicht in Frage. Und mischt ab. Auf acht Spuren klingen Klavier,
Gitarren, Streicher, Blech-, Holzbläser und Schlagwerk nebeneinander. Danach
speichert er alles auf Diskette.
Bei
Orchesterstücken von Bach und Beethoven gibt "Bernd" Gas. Und
doch: "Klassische Sachen zu arrangieren heißt wochenlange Arbeit."
Dagegen zockelt er mit deutschen Schlagern über die Piste: "Sie sind
VW-Käfer", sagt er - lahm und anspruchslos. In einer halben Stunde
hat er sie drauf. Gut ausgestattet wie ein Mercedes komme ein Lied von Mariah
Carey daher: Ein Tag Arbeit für den Arrangeur. Was "Bernd" im
Schuppen mon- tiert, vollendet sich in
der Öffentlichkeit. Wenn der Alleinunterhal- ter an den Start geht. Bei
Hochzeiten , in Kneipen, Tanzschulen und VFL-Stadion. Er will "Menschen
fröhlich machen" und zwar "Nix Bläbäck - Leif".
"Bernds" Devise steht klein auf einem Schild unter seinem Namen. Neugier,
Musik und Bescheidenheit führten den Stader nach Fort Bliss, Texas, um
vor deutschen und amerikanischen Luftwaffenpiloten zu spielen. Obwohl er überall
hinkommt, kommt er nicht überall an. "Auf einer Hochzeit bin ich mal
voll durchgerauscht", erzählt er. "Die wollten Techno."
Zum Glück hatte er einen Koffer mit CDs und ein Abspielgerät dabei.
"Die habe ich dann genommen." Am Anfang seiner Karriere stand allerdings
ein Rausschmiss. Weil er auf einem "geweihtem" Flügel Popmusik
spielte, flog der Student von der Lübecker Musikhochschule. Dann startete
er durch. Mit Unterhaltungsmusik. 1979 kaufte er sich die erste Orchesterorgel
- für stolze 16 000 Mark auf Pump. Ein Instrument mit Streichorchester
und "Tick - Tack Rhythmus". Sie läuft heute noch. Aber ganz aus
dem Takt der Zeit.
"Bernd"
hingegen bleibt auf der Überholspur.